Rezension zu: Hans Jansen, Mohammed. Eine Biographie

Ein Lesevergnügen

Karl-Heinz Ohlig

Zu: Hans Jansen, Mohammed. Eine Biographie (aus dem Niederländischen übers. von Marlene Müller-Haas), Verlag C.H.Beck: München 2008, 491 Seiten,

in: imprimatur 41, 2008, 146.147 (ISSN 0946 3178)

Im 20. Jahrhundert erschien eine Reihe von Mohammedbiographien. Alle beziehen sich auf die „biographische“ islamische Literatur des 9. und 10. Jahrhunderts, vor allem auf die Sira, verfasst von einem Ibn Hisham (gest. um oder nach 830). Dieser behauptet, sich seinerseits auf eine ältere Vorlage von Abu Ishâq (gest. 767) zu stützen, die er weithin wiedergebe.

Alle modernen Mohammedbiographien halten das dort gebotene Material grundsätzlich für historisch, nachdem sie aber – ohne es zu verraten – stillschweigend alles Mirakulöse, offensichtlich Legendarische und für Mohammed, nach heutiger Sicht, Negative weglassen haben. Resultat ist ein Leben Mohammeds in Mekka und Medina, mit genauen Datierungen, Verwandtschaftsverhältnissen, Ehen, mit Hidschra von Mekka nach Medina, Schlachten, Siegen bis zum Tod. „Alle bisherigen Mohammed-Biographien sind Umarbeitungen von Ibn Ishâq“ (S. 22), inhaltlich bieten sie die gleichen Abläufe, so dass es im Grunde genügt, nur eine von ihnen zu lesen.

Kurios ist nun, dass Hans Jansen das Gleiche tut: „Das vorliegende Buch … folgt genau Ibn Ishâqs Sammlung von Geschichten“ (ebd.), referiert aber nicht nur ein heute erträgliches Resümee, sondern auch alles Absonderliche („In zahlreichen Geschichten wird er [Mohammed] als Hellseher und Wundertäter vorgeführt“, S. 443), auch die Verklärung des Dschihad und die „in modernen Augen eher negativen Aussagen … Vorhaltungen über den Inhalt dieser Erzählungen von Mohammed sollten dahin adressiert werden, wohin sie auch gehören: an die islamische Tradition und nirgendwo sonst“ (S. 22.23).

Wer Jansens Buch liest, gewinnt in den 19 Kapiteln einen plastischen Eindruck von der Eigenart der Sira und dem dort erzählten Leben Mohammeds und realisiert, dass es sich bei ihr um eine Sammlung von bunten Geschichten handelt, die zahlreiche Fragen aufwirft. Viele dienen wohl dazu, Koranverse, die in ihrem Kontext unverständlich sind, durch schöne Geschichten zu erläutern, eine „haggadische Exegese“ (S. 446.447).

Jansen verzichtet im Allgemeinen darauf, die möglichen historischen Abläufe anhand von Quellen selbst zu diskutieren; nicht zuletzt deswegen liest sich das Buch so angenehm. Nur gelegentlich bezieht er sich auf neuere historische Untersuchungen, z.B. von Patricia Crone, der zufolge das damalige Mekka keineswegs eine blühende Handelsstadt war, oder auf die philologischen Untersuchungen von Christoph Luxenberg, z.B. zur Bedeutung von muhammad, aber man spürt, dass er die neueren kritischen Untersuchungen kennt. Prinzipiell aber folgt er dem Text der Sira und stellt dann einige Fragen, ohne sie zu beantworten. So soll Mohammed 570 in Mekka, „im Jahr des Elefanten“, geboren worden sein; nach Zeugnissen aus anderen Quellen aber „sieht (es) danach aus, als sei 552 das <<echte>> Jahr des Elefanten gewesen“ (S. 31). Jansen geht auf viele weitere Einzelheiten ein und meint: „Aus alledem folgt: Mohammeds Geburtsjahr ist nicht bekannt“ (S. 32). Oder er geht auf den Namen der Mutter Mohammeds, Amina, ein: „Es ist natürlich gut möglich, daß Mohammeds Mutter einen Namen hatte, der zufällig in einer der Schwestersprachen des Arabischen (Hebräisch, Verf.) <<Erzieherin>> bedeutet. Aber das wäre ein ganz großer Zufall. Viele moderne kritische Wissenschaftler werden es für einen allzu großen Zufall halten und zu der Schlussfolgerung neigen, daß es sich dabei um eine Legende handelt. Gewissheit ist in diesem Punkt jedoch nicht zu erlangen; daß aber nach islamischer Überlieferung Mohammeds Mutter Amina hieß, ist so sicher wie das Amen in der Kirche“ (S. 36). Oder: „Über Mohammeds Vater ist nichts bekannt – außer daß er noch vor dessen Geburt starb. Als Mohammed sechs Jahre alt war, starb auch seine Mutter Amina. Es ist eine merkwürdige Reihe: Mose war ein Findelkind, Jesus Sohn einer (anfangs) ledigen, jungfräulichen Mutter und Mohammed ein Waisenkind“ (S.41).

Und so geht es weiter: Man spürt gelegentlich den Schalk des Autors, der sich den Erzählungen mit einer gewissen Ironie nähern kann. Das gilt für die von ihm – meist – nicht weiter kommentierten Wundererzählungen: als z.B. ein Mitstreiter Mohammeds im Kampf am Auge getroffen wurde, „daß es ihm bis auf die Wange herabhing“, schob Mohammed das Auge „wieder dorthin zurück, wo es hingehörte, worauf dieses sein bestes und schärfstes Auge wurde“ (287). Auch bei vielen anderen Geschichten bezieht er selbst keine Stellung, sondern merkt nur an, dass solche Erzählungen von möglicherweise areligiösen Historikern natürlich anders aufgefasst werden, für Muslime aber wahre Begebenheiten referieren. Nur dort fügt er – sehr dezidiert – seine eigene Meinung an, wo ihm ethische oder menschenrechtliche Standards verletzt scheinen: „Sollten Muslime wirklich derart antiquierte Geschichten als Leitfaden für ihr Leben nehmen wollen?“ (S. 285), oder: „Aufgrund einer religiösen Überzeugung zu morden ist daher keine Heldentat, sondern ein Denkfehler“ (S. 451), oder: Jansen berichtet, dass Mohammed, nach der Zählung Ibn Warraqs, 80 Meuchelmorde zugeschrieben werden. „Selbst wenn es nur halb so viele waren, sollte man sich doch mit dieser Frage beschäftigen“. Bei einem Feldherrn der Antike wie Alexander dem Großen sei dies nicht verwunderlich, „aber bei einem Religionsgründer kann das leicht zu Problemen führen“ (S. 443).

Jansen kennt sehr gut die Bibel, und er führt immer wieder Bibelstellen an, die Koranverse oder die Gestaltung der Geschichten in der Sira offensichtlich beeinflusst haben. Dies gilt nach ihm auch für das Gesamtkonzept der Sira: „Die Rolle Mohammeds in den von Ibn Ishâq gesammelten Geschichten erinnert am meisten an diejenige der Richter im Alten Testament“ (S. 421).

Geschickt enthält er sich einer Festlegung in historischen Fragen. „Die Theorie, daß es Mohammed nie gegeben hat, wirkt sichtlich weit hergeholt“ ( S.445). Aber er geht auf die Möglichkeit ein, dass Mohammed (übersetzt: der Gepriesene, benedictus) die – in meinen Worten – Historisierung eines christologischen Prädikats war; dies hält er „für ziemlich nahe liegend“ (ebd.). Er verrät seine Meinung aber indirekt, am konkreten Beispiel: „Welchen Sinn hat es beispielsweise, über die Ehe des Propheten mit einem neunjährigen Mädchen zu wettern, wenn … Und wenn er gar nicht gelebt hat, wäre ein Urteil über ihn ganz und gar unsinnig. Eine Romanfigur wird doch auch nicht verurteilt“ (Ebd.). Oder an anderer Stelle: „Demnach hätte die Erzähltradition die Gestalt Mohammeds erschaffen, und nicht umgekehrt“ (S.446).

Diese „Biographie“ hat gegenüber allen anderen den Vorteil, dass der Leser nicht im Unklaren gelassen wird, was in der Sira – Grundlage aller Biographien – tatsächlich steht. Im Erzählen dieser Geschichten und mit einigen wenigen Fragen wird deutlich, dass aus ihr kein historisch verantwortbares „Leben Mohammeds“ gewonnen werden kann. Und das ohne weitere komplizierte und detaillierte und deswegen notwendig schwer lesbare historische Quellenarbeit. Das Buch ist literarisch ein großer Wurf, und man kann verstehen, wieso es einem der Vertreter der immer selben Märchenmethoden, Peter Heine, Berlin, nicht gefallen hat, so dass er es in seiner Rezension in der Süddeutschen Zeitung negativ bewertet hat.

Lediglich eine Frage habe ich bei Jansen vermisst: Wie auch sonst üblich wird der Behauptung Ibn Hischams Glauben geschenkt, er habe eine viel ältere Vorlage eines Abu Ishâqs benutzt. Muss aber nicht diese These als literarischer und theologischer Topos angesehen werden, um der eigenen Geschichtensammlung und –produktion (im 9. Jahrhundert) ein höheres Alter und damit eine größere Autorität und Glaubwürdigkeit zu verleihen? Nach dem Zeugnis der zeitgenössischen Quellen aber kann um 750, die von Jansen angenommene Abfassungszeit von Abu Ishâq, diese bunte Fülle von Mohammedgeschichten noch nicht vorgelegen haben.